Eine Kölner Legende: Neşet Ertaş

Der anatolische Barde, der 30 Jahre lang in der Domstadt lebte

Sebahattin Çelebi, Frankfurt

In den Arbeitervierteln Kölns kannte ihn jeder türkische Gastarbeiter: den Mann mit der Bağlama, der tagsüber auf dem Bau schuftete und abends in seinem kleinen Apartment in der Keupstraße die „Seele Anatoliens“ zum Leben erweckte. Neşet Ertaş, das „Plektrum der Steppe“, lebte drei Jahrzehnte in Deutschland – und wurde dabei zu einer Legende, die weit über die türkische Gemeinschaft hinausreichte.

Es ist eine bemerkenswerte Geschichte: Ein Volkssänger aus dem anatolischen Hinterland, der zunächst nur seine kranke Tochter behandeln lassen wollte, blieb 30 Jahre in der Fremde und wurde dabei zu einem der „wichtigsten Kulturvermittler zwischen der Türkei und Deutschland.“ Seine Musik war „Heimat für Tausende von Gastarbeitern“, seine Bescheidenheit und Menschlichkeit ein „leuchtendes Beispiel für gelungene Integration.“

Die Ankunft in Deutschland: Ein Vater kämpft um sein Kind

Anfang der 1970er Jahre stand Neşet Ertaş vor der „schwersten Entscheidung seines Lebens.“ Seine Tochter Döne war schwer erkrankt, und die medizinischen Möglichkeiten in der Türkei waren begrenzt. Wie viele Türken seiner Generation sah er in Deutschland die „Hoffnung auf eine bessere medizinische Versorgung und neue Perspektiven.“

Mit seiner Bağlama und einem kleinen Koffer kam er nach Köln – einer Stadt, die damals bereits ein „Zentrum der türkischen Migration“ war. Was als vorübergehender Aufenthalt geplant war, wurde zu einem Lebensabschnitt, der sowohl sein eigenes Schaffen als auch das kulturelle Leben der türkischen Gemeinde in Deutschland „nachhaltig prägen“ sollte.

Zwischen Baustelle und Bühne

Neşet Ertaş fand sein neues Zuhause in der Keupstraße – jener Straße in Köln-Mülheim, die heute als „türkische Meile“ oder „Klein-Istanbul“ bekannt ist. In einer bescheidenen Wohnung lebte der Künstler, der in seiner Heimat bereits berühmt war, das „Leben eines einfachen Gastarbeiters.“

Tagsüber schwang er den Hammer auf Kölner Baustellen und verdiente sein Geld mit „harter körperlicher Arbeit.“ Seine Hände, die abends der Bağlama die feinsten Melodien entlockten, waren tagsüber von „Zement und Mörtel gezeichnet.“ Diese „Doppelexistenz zwischen Arbeiter und Künstler“ machte ihn zu einer „authentischen Stimme der türkischen Gastarbeiter-Generation.“

Abends verwandelte sich sein kleines Apartment in einen „kulturellen Salon.“ Türkische Familien aus ganz Köln und dem Rheinland kamen zu ihm – nicht nur, um seine Musik zu hören, sondern auch, um „ein Stück Heimat zu finden.“ In einer Zeit, als es noch kein Internet gab und die Verbindung zur Heimat schwierig war, wurde Neşet Ertaş zu einem „lebenden Bindeglied zwischen Anatolien und dem Rheinland.“

Kulturbrücken bauen: Die universelle Sprache der Musik

Besonders bemerkenswert war Neşet Ertaş‘ Fähigkeit, auch ohne gemeinsame Sprache „Brücken zu seinen deutschen Nachbarn und Kollegen“ zu bauen. Seine deutschen Mitarbeiter auf den Baustellen lernten ihn als „bescheidenen, hilfsbereiten Menschen“ kennen. Auch wenn sie seine Sprache nicht verstanden, spürten sie die „Emotionen in seiner Musik.“

Bei Sommerfesten in den Hinterhöfen der Keupstraße spielte er für eine „gemischte Nachbarschaft.“ Deutsche Rentner saßen neben türkischen Großmüttern und ließen sich von den „melancholischen Klängen der Bağlama“ verzaubern. Musik wurde zur „universellen Sprache, die alle Barrieren überwand.“

Das kulturelle Erbe: Lehrer einer Generation

Besonders prägend war Neşet Ertaş‘ Rolle als „kultureller Mentor für die in Deutschland aufwachsende türkische Jugend.“ Jedes Wochenende kamen junge Musiker zu ihm – sowohl aus der Türkei stammende als auch in Deutschland geborene. Sie wollten von dem Meister lernen, der die „authentische anatolische Musiktradition“ verkörperte.

Für die „zweite und dritte Generation“ türkischer Einwanderer war er ein wichtiger Bezugspunkt zu ihren Wurzeln. In einer Zeit der „Identitätsfindung zwischen türkischer Herkunft und deutscher Lebenswelt“ bot er Orientierung und zeigte, dass man „beide Kulturen respektieren und leben konnte.“

Seine Wohnung wurde zu einer informellen „Musikschule“, in der nicht nur Spieltechniken, sondern auch die „kulturellen und spirituellen Dimensionen der anatolischen Volksmusik“ vermittelt wurden. Viele bekannte türkisch-deutsche Musiker der nächsten Generation erhielten hier ihre „erste musikalische Prägung.“

Die Sehnsucht in der Fremde: Neue Lieder entstehen

Die Jahre in Deutschland prägten auch Neşet Ertaş‘ künstlerisches Schaffen. Die „Erfahrung der Migration“, die „Sehnsucht nach der Heimat“ und die „Herausforderungen des Lebens in der Fremde“ flossen in seine Musik ein. Lieder wie Garip Bülbül („Die fremde Nachtigall“) und Sevda Çiçeği („Die Blume der Sehnsucht“) entstanden in dieser Zeit und wurden zu „Hymnen der türkischen Diaspora.“

Diese Lieder sprachen nicht nur von der „Sehnsucht nach der anatolischen Steppe“, sondern auch von der „Dankbarkeit für die Aufnahme in Deutschland“, von der „Freundschaft mit deutschen Kollegen“ und von der „Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Kinder.“

Der Verzicht auf den Kommerz: Kunst statt Geschäft

Obwohl Neşet Ertaş in Deutschland lebte und seine Musik auch hier große Beachtung fand, lehnte er konsequent „kommerzielle Angebote von Plattenfirmen“ ab. Für ihn war Musik eine „spirituelle Angelegenheit, kein Geschäft.“ „Ich singe nicht die Lieder, die Lieder singen mich“, war sein Motto.

Diese Haltung brachte ihm „enormen Respekt“ ein, auch bei deutschen Kulturschaffenden, die ihn als „authentischen Künstler“ erkannten. Einige deutsche Musikethnologen und Journalisten wurden auf ihn aufmerksam und schätzten seine „kompromisslose künstlerische Haltung.“

Das Ende einer Ära: Rückkehr in die Heimat

Im Jahr 2000, nach fast drei Jahrzehnten in Deutschland, entschied sich Neşet Ertaş zur „Rückkehr in die Türkei.“ Die Behandlung seiner Tochter war erfolgreich verlaufen, er selbst war älter geworden und spürte den „Ruf der Heimat.“

Seine Abschiedsfeier in Köln wurde zu einem „bewegenden Ereignis.“ Hunderte von Menschen aus der türkischen Gemeinschaft, aber auch deutsche Freunde und Nachbarn kamen, um sich von dem Mann zu verabschieden, der „drei Jahrzehnte lang ein kultureller Botschafter zwischen den Welten gewesen war.“

Das Vermächtnis: Ein Kölner wird zur türkischen Legende

Was Neşet Ertaş in Deutschland erlebte und leistete, macht ihn zu einer „besonderen Figur der deutsch-türkischen Geschichte.“ Er verkörperte eine Generation von Gastarbeitern, die nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch ihre „Kultur und ihre Menschlichkeit mitbrachten.“

Seine Zeit in Köln zeigte exemplarisch, wie Integration gelingen kann: durch „Respekt, Offenheit und die Bereitschaft, voneinander zu lernen.“ Er blieb seinen Wurzeln treu, ohne sich der neuen Umgebung zu verschließen. Er bewahrte seine Traditionen, ohne sie zu musealisieren.

Heute, mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Tod, wird Neşet Ertaş sowohl in der Türkei als auch in Deutschland als Legende verehrt. In Köln erinnert man sich noch immer an den „bescheidenen Mann mit der Bağlama“, der 30 Jahre lang in der Keupstraße lebte und dabei „Geschichte schrieb.“

Seine Musik lebt weiter – in den „Herzen der türkischen Gemeinschaft“, aber auch bei allen Menschen, die verstehen, dass „wahre Kunst keine Grenzen kennt“ und dass „Menschlichkeit die beste Brücke zwischen den Kulturen ist.“

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