Sebahattin Çelebi, Frankfurt
„Fe-bieyyi âlâi Rabbikumâ tukezzibân“
(„Welche der Wohltaten eures Herrn wollt ihr beide denn leugnen?“)
Dies ist der Vers, in dem die „poetische Akustik“ der Sure Ar-Rahman ihren Höhepunkt erreicht. Die in der mekkanischen Periode offenbarte Sure umfasst 78 Verse. Sie beginnt mit der Betonung von Allahs Namen Ar-Rahman (der Allbarmherzige) und lädt die Menschen zum Nachdenken ein, indem sie an „Gottes Wohltaten im Universum“ erinnert und die Frage „Welche der Wohltaten eures Herrn wollt ihr denn leugnen?“ wie ein Refrain wiederholt.
Der große islamische Korankommentator Ibn Kathir beginnt seine Auslegung mit einem von Ali überlieferten Hadith: „Alles hat seine Braut, und die Braut des Korans ist die Sure Ar-Rahman.“ Ibn Kathir zufolge lädt die Sure zur Dankbarkeit ein, indem sie an die „Weite von Gottes Barmherzigkeit“, die „Erhabenheit seiner Macht“, die „vollkommene Ordnung im Universum“, das „Leben im Jenseits“ und die „zahllosen Wohltaten“ erinnert, die dem Menschen gewährt wurden.
Auch Deutschlands großen Dichter hat die Sure Ar-Rahman zutiefst bewegt. Als Johann Wolfgang von Goethe durch die Seiten des Korans wandelte, blieb sein Blick an ihr haften. Der Vers „Sonne und Mond bewegen sich nach einer Berechnung; die Gräser und Bäume werfen sich nieder“ spiegelte Goethes Leidenschaft für die Natur und seine Bewunderung für das Universum wider. In diesem Moment wurde diese Sure für ihn mehr als ein heiliger Text – sie verwandelte sich in „Poesie, eine Natursymphonie, ein göttliches Flüstern.“
Die Begegnung eines Dichters mit der Natur
Goethes Bekanntschaft mit der Sure Ar-Rahman war eine der „elegantesten Stationen“ seines Interesses am Islam. Bereits 1772, im Alter von nur 23 Jahren, war er erstmals Johann Jakob Reiskes Koranübersetzung begegnet. Doch die Sure Ar-Rahman gewann über die Jahre, besonders während seiner Reifezeit, als er den West-östlichen Divan schrieb, einen „besonderen Platz in seiner Seele.“
Goethe war ein Mann, der die Natur nicht im Labor, sondern mit den „Augen eines Dichters“ betrachtete. Während er die „Metamorphose der Pflanzen“, den „Rhythmus des Himmels“ und die „Wellen des Meeres“ mit wissenschaftlicher Genauigkeit beobachtete, liebte er sie zugleich mit künstlerischer Begeisterung. Die Sure Ar-Rahman war wie eine „Brücke, die diese beiden Seiten seines Wesens verband.“
Die Eröffnung der Sure mit dem Attribut Ar-Rahman fesselte Goethe sofort. Für ihn war Barmherzigkeit eine „sanfte, aber mächtige Kraft im Wirken des Universums.“ Wenn die Sure Gottes Wohltaten aufzählte – „Sonne und Mond, Sterne und Bäume, Meere und Perlen“ –, wurde Goethes „pantheistische Ader“ berührt. Er sah die Natur als „Spiegelbild Gottes“; in jedem Teilchen des Universums spürte er eine „göttliche Ordnung und Harmonie.“ Der Vers „Sonne und Mond bewegen sich nach einer Berechnung“ sprach sein Interesse an der Astronomie an; „die Gräser und die Bäume werfen sich nieder“ stand im Einklang mit seinen Ideen aus der Metamorphose der Pflanzen. Goethe spürte in diesen Versen, dass die Natur nicht nur ein Mechanismus, sondern zugleich eine „Form der Anbetung“ war.
Eine poetische Verzauberung
Beim Lesen der Sure Ar-Rahman ließ sich Goethe vom „rhythmischen Fluss des Textes“ gefangen nehmen. Der wiederkehrende Refrain – „Welche der Wohltaten eures Herrn wollt ihr denn leugnen?“ – war für ihn wie ein „poetisches Mantra: eine Frage, eine Erinnerung, eine Meditation.“ Goethe verglich diese Struktur mit den zyklischen Motiven, die er in seiner eigenen Lyrik verwendete. „Das ist wie der Rhythmus der Natur“, dachte er vielleicht – „wie das Brechen der Wellen am Ufer oder der Wechsel der Jahreszeiten, ein harmonisch fortschreitender Gesang.“
Die Bilder der Sure entfachten Goethes Vorstellungskraft. Der Vers „Er hat die beiden Meere freigelassen; sie begegnen einander, doch zwischen ihnen ist eine Schranke, die sie nicht überschreiten“ erzählte ihm von der „Einheit und zugleich Getrenntheit in der Natur.“ Dieser „Tanz der Meere“ erinnerte ihn an die „Harmonie der Gegensätze“, die er häufig in seinen wissenschaftlichen Beobachtungen antraf.
In einem Brief hatte er geschrieben: „Mohammeds Worte tragen die tiefsten Wahrheiten der Natur in sich.“ Die Sure Ar-Rahman war in seinen Augen der „lebendigste Beweis für diese Worte.“ Goethe empfing die „doppelte Stimme dieser Sure“ – sowohl erhebend als auch nachdenklich stimmend – mit Bewunderung. Für ihn war sie „weniger eine Predigt als vielmehr ein Naturgedicht“; „als ob das Universum selbst durch diese Verse zur Menschheit spräche.“
Die Berührung von Pantheismus und Islam
Goethes Faszination für die Sure Ar-Rahman stand in tiefer Verbindung zu seiner „pantheistischen Weltanschauung.“ Er war ein Denker, der Gott nicht in Kirchen, sondern im „Schoße der Natur“ suchte. Die Verse „Er schuf den Menschen aus Ton wie Töpferware“ und „die Dschinn aus rauchlosem Feuer“ kamen seinem Interesse an der „Verbindung zwischen Mensch und Natur“ entgegen.
Die Betonung der Sure, dass „alles in einem Maß geschaffen wurde“, sprach auch Goethes wissenschaftliche Seite an. Als Verfasser von Arbeiten über Optik und Botanik bewunderte er die „mathematische Ordnung der Natur.“ Der Vers „Den Himmel hat Er erhoben und das Gleichgewicht eingesetzt“ bestärkte seinen Glauben an die „Harmonie des Universums.“ In ein Notizbuch schrieb er: „Diese Sure zeigt, dass die Natur sowohl ein Kunstwerk als auch ein Gesetz ist.“ Für Goethe war Ar-Rahman nicht nur ein religiöser Text, sondern ein „Manifest, das das Wirken des Universums feierte.“
Goethes Bewunderung für die Sure Ar-Rahman führte nicht zu seiner Konversion zum Islam. Er löste sich nicht von seinen christlichen Wurzeln, aber die Sure berührte seine „überreligiöse ästhetische und philosophische Suche.“ Beim Schreiben des West-östlichen Divans hallten die Naturbilder von Ar-Rahman in seinem Geist wider.
Göttliches Naturgedicht
Goethe betrachtete diese Sure als ein „göttliches Naturgedicht.“ Dennoch war seine Herangehensweise nicht völlig frei von den Grenzen seiner Zeit. Während er die „theologische Tiefe von Ar-Rahman“ pries, konnte er bisweilen nicht umhin, durch eine „christlich-europäische Brille zu blicken.“ Die Paradiesbeschreibungen der Sure – „grüne Kissen, schöne Teppiche“ – bezeichnete er als „orientalische Vorstellungskraft.“ Doch diese Urteile überschatteten seine grundlegende Bewunderung nicht. Er liebte Ar-Rahman mit den „Augen eines Künstlers“ und lauschte ihr mit dem „Herzen eines Dichters.“
Das ewige Echo von Ar-Rahman
Beim Lesen der Sure Ar-Rahman führte Goethe gleichsam einen „Dialog mit der Natur selbst.“ Diese Sure war für ihn „weniger ein heiliger Text als vielmehr ein Lied des Universums, eine Symphonie, in der sich Sonne, Mond, Meer und Bäume vereinen.“ In seinem stillen Zimmer in Weimar, bei Kerzenlicht, reiste Goethe beim Lesen dieser Verse vielleicht für einen Moment „in den Osten, zu einer Oase in der Wüste.“ Ar-Rahman erinnerte ihn an seine „Liebe zur Natur“ und seine „Ehrfurcht vor dem Universum.“
Goethes Interesse an dieser Sure war „einer der elegantesten Schritte seiner Auseinandersetzung mit dem Islam.“ Er umarmte Ar-Rahman nicht als religiöses Dogma, sondern als „Erbe der Menschheit.“ Und diese Sure blieb als „ein Echo in seiner Feder, seinem Geist und seiner Seele.“